meine Antwort auf den

Leitartikel von Herrn Kolhoff in der Saarbrücker Zeitung vom 2. Mai 2022:

 

 

Ein Leitartikel moralischer Erbärmlichkeit

 

 

Sehr geehrter Herr Kolhoff,

 

der Einmarsch der russischen Truppen ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechts. Die Ermordung von Kindern, Frauen, Männer, die Abriegelung und Bombardierung von Mariupol sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ich habe auf meinen privaten Reisen in autoritären Staaten erlebt, wie willkürlich und autoritär Menschen die Staatsräson durchsetzten. Demokratie und Pressefreiheit sind deshalb für mich der wirksamste Schutz für Frieden und Freiheit.

 

Es ist mir schon fast peinlich, dass ich meinen Brief an Sie mit diesen Selbstverständlichkeiten beginnen muss. Aber ich erachte es als notwendig, da ich Ihnen vorweg sagen möchte, dass ich zu den  Stand 4. Mai 2022 19:49   216.828 Menschen in Deutschland gehöre, die „das Dokument der moralischen Erbärmlichkeit“ – Ihre Überschrift – unterschrieben haben (change.org)

 

Und ich schreibe Ihnen heute in einer Diktion, die ich nur selten anwende. Ich schreibe aber bewusst, weil ich dem Sprichwort zustimme: „Auf einen groben Klotz (Ihr Artikel) gehört ein grober Keil (meine Antwort).“

 

Ich habe Ihren Leitartikel in der SZ vom 2. Mai 2022 immer wieder lesen müssen, war anfangs erschrocken, dann geschockt, habe jetzt nur noch absolutes Unverständnis.

 

Das lesen Ihres Artikel musste ich beim ersten Mal unterbrechen, ging zurück zur ersten Seite, um mich zu vergewissern, dass ich die Saarbrücker Zeitung vor mir habe. In Aussage und Diktion Ihres Artikels dachte ich spontan an die BILD Zeitung. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob die BILD Zeitung Ihren Artikel gedruckt hätte. Er könnte ja deren niedriges Niveau unterlaufen.

 

In Russland ist die Verwendung des Wortes „Krieg“ im Zusammenhang mit dem Überfall auf die Ukraine unter Strafe gestellt. Folgt man Ihrer Argumentation, ist jede abweichende Meinung vom Waffengebrüll „moralische Erbärmlichkeit“.

 

Von einem deutschen Leitartikler (ich schreibe bewusst nicht Journalist) habe ich schon lange keinen Artikel von solch „moralischer Erbärmlichkeit“ gelesen. Ihre herablassende Kommentierung, humanitäre Hilfe mit „Verbandszeug“ gleich zu setzten, das, Herr Kolhoff, ist für mich erbärmlich.

 

Was mich an Ihrem Artikel darüber hinaus so irritiert, wie hämisch Sie sich über die Angst von Männern und Frauen auslassen. Dass es in Deutschland noch Menschen gibt, die nicht blind hinter Leitartiklern herlaufen oder nur noch überall nach Panzern suchen, können Sie offensichtlich nicht ertragen.

 

Viele wichtigen Menschen, auch Journalisten, hatten vor dem 24. Februar 2022 vielstimmig und wortgewaltig ausgeschlossen, dass Putin einen Angriff auf die Ukraine befehlen würde. Und doch ist es passiert.

 

Und Menschen in Deutschland haben wieder Angst, wenn im russischen Fernsehen zur besten Sendezeit der Fernsehmoderator Dmitri Kiseljow mit der totalen Zerstörung Großbritanniens droht und darüber philosophiert , ob eine Sarmat-Rakete ausreiche oder nicht doch die Roboterdrohne Poseidon „Großbritannien in die Tiefen des Meeres stürzen" sollte.

 

Oder die Chefin von Russia Today, Margarita Simonjan, seit über 20 Jahren eine der Vertrauen von Putin, erklärte in einer Sendung „Wie ich uns kenne, wie ich unseren Anführer Putin kenne, halte ich einen dritten Weltkrieg für realistisch“. Und das im Wissen, dass Putin bereits wenige Tage nach dem Überfall auf die Ukraine die russischen Atomstreitkräfte in höchste Alarmbereitschaft gesetzt hatte.

 

Oder die patriotische Organisation „Putins Einheiten“, deren Sprecher Jefim Klimow  „die sofortige Entsendung unserer strategischen Bomberflotte“ fordert, um „Berlin, Amsterdam und London in radioaktive Asche zu verwandeln“.

 

Dies sind auch keine Informationen von Verschwörungstheoretikern, dies sind Informationen aus Nachrichtensendung der öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten, aus der TAZ und der Süddeutschen.

 

Und Sie wussten, bevor Sie Ihren Artikel geschrieben haben, dass im russischen Fernsehen nichts gesendet wird, das der Kreml nicht autorisiert hat.

 

Deshalb dürfen Menschen Angst haben und zu Recht Überlegungen anstellen, wie ihrer Meinung nach eine Ausweitung des Krieges verhindert werden kann.

 

Das Sicherheitsbedürfniss der Menschen in Deutschland und in Europa darf nicht zu einem erneuten Wettrüsten führen. Es muss auf allen diplomatischen Kanälen versucht werden, einen Waffenstillstand zu erreichen. Jeder Tag, an dem dieser Krieg länger dauert, sterben unschuldige Menschen. Aus der Geschichte wissen wir, dass Kriegsenden, die auf den Sieg einer Kriegspartei zurück zu führen sind, selten einen dauerhaften Frieden brachten.

 

Deshalb ist die Forderung von Frank Werneke, ver.di Vorsitzender (kein Unterzeichner des Briefes), richtig, „Unsere Perspektive muss ein Europa mit weniger Waffen bleiben, insbesondere durch den Abbau atomarer Bewaffnung.“

 

Nicht eine „paternalistische Bevormundung des überfallenden Landes“ bringt der Brief zum Ausdruck, sondern eine kritische und aus der Geschichte begründete Überprüfung der Argumente der Amerikaner.

 

Paternalistisch ist der Stil, in dem Ihr Artikel verfasst ist. Er erinnert mich an die Zeit, als meine Lehrer in den 60er und 70er Jahren keine Diskussion zugelassen haben, sie waren ja im Besitz der absoluten Wahrheit. Wie Sie in Ihrem Artikel.

 

Die Überlegungen im Brief können richtig oder falsch sein, aber nie erbärmlich!

 

Die Diktion ihres Artikels, auf  „Intelektuelle“ bezogen, klingt wie ein Schimpfwort, vergleichbar der „Lügenpresse“ bei Pegida oder  den Coronaleugnern.

 

Was ich absolut verurteile und mir zudem wünsche, dass der Presserat sich damit befassen würde, ist ihre folgende Formulierung (wörtlich):

 

„Die Gefahr einer Eskalation ist nicht zu leugnen, und die Politik muss sich jeden Schritt gut überlegen. Aber erstens hat es allein Putin in der Hand, ob er Atomwaffen einsetzt, und zweitens stellt sich die Frage, was man für diese Vorsicht alles zu akzeptieren bereit ist. Russische Mordtaten wie in Butscha offenbar bereits jetzt.“

 

Im Kontekst Ihres Artikels  bringen Sie für mich damit zum Ausdruck, dass die „Intelektuellen“ die russischen Mordtaten in Butscha bereits jetzt akzeptieren.

 

Inakzeptabel!

 

An dieser Stelle bin ich dann nicht mehr bereit, mich mit Ihrem Artikel weiter auseinander zu setzten. Ich habe, wie man im Saarland sagt: „die Schnauze gestrichen voll!“

 

Sehr geehrter Herr Kolhoff,

 

ich werde mich weiterhin mit all meiner Kraft dafür einsetzten, dass die Pressefreiheit in Deutschland erhalten bleibt (habe zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai 2022 zwei Plakate gemacht) und Sie Artikel schreiben können, wie sie es getan haben.

 

Aber: ich nutze heute schon die unterschiedlichsten Medien, um mich zu informieren. Die Saarbrücker Zeitung wird nicht mehr dazu gehören. Ich werde mich auch nicht mehr mit Leserbriefen an Diskussionen in der Saarbrücker Zeitung beteiligen.

 

Die Saarbrücker Zeitung wird es verkraften.

 

4. Mai 2022

 

 


 . . . und das ist er, der Leitartikel "moralischer Erbärmlichkeit"

 

Saarbrücker Zeitung vom 2. Mai 2022

 

Warum Alice Schwarzer irrt 

 

Offener Brief an Scholz zur Ukraine

 

Ein Dokument moralischer Erbärmlichkeit

 

 

Leitartikel von Werner Kolhoff

 

 

Alice Schwarzer, Ranga Yogeshwar, Reinhard Mey - die List der Unterzeichner eines offenen Briefes an Olaf Scholz ist lang. Sie wenden sich gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine und warnen vor einem dritten Weltkrieg. Aber sie liegen falsch.

 

Selten war die Bewertung eines Krieges so klar: Russland ist der Aggressor, die Ukraine darf und muss sich wehren. Trotzdem gibt es in Deutschland eine heftige Debatte über die Frage von Waffenlieferungen. Dass die AfD dagegen ist, überrascht nicht. Putin repräsentiert ihren Traumstaat: autoritär, nationalistisch, fremdenfeindlich und homophob. Die Ablehnung der Linken ist weniger logisch. Obwohl Russland klar imperialistisch und kapitalitistisch ist, fordert man Zurückhaltung, angeblich um des Friedens willen. Das war nicht immer so. In den 1980er Jahren gab es etwa eine Kampagne „Waffen für El Salvador“. Der Unterschied: Damals ging es gegen den „US-Imperialismus“.

 

Den offenen Brief von 28 Intellektuellen, den Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer veröffentlicht hat, prägt hingegen nicht Ideologie, sondern – schlichte Angst. Die Lieferung schwerer Waffen könne Russland zum „Vorwand“ für eine Eskalation dienen. Es bestehe die Gefahr eines dritten Weltkrieges. Und noch ein Element gibt es in diesem Text: Die paternalistische Bevormundung des überfallenen Landes, das man vor eigenen Opfern schützen will. „Sie können diesen Kampf nicht gewinnen, auch wenn ihnen das die Amerikaner immer wieder suggerieren“, sagt der Mitunterzeichner und Schauspieler Edgar Selge wissend. Auch er mit einer gehörigen Portion Antiamerikanismus.

 

Leichte Waffen und humanitäre Hilfe (Verbandszeug?) wollen die Unterzeichner der Ukraine wohl geben. Nach der Logik des Briefes also nur Waffen, die Putin nicht weiter reizen und seinen Vormarsch nicht stoppen. Von deutschen Intellektuellen hat es schon lange kein Dokument von solcher moralischen Erbärmlichkeit gegeben. Mit dieser Haltung wäre der Zweite Weltkrieg schnell entschieden gewesen: Sofort nach Hitlers Überfall auf Polen. Es hätte keinen Kriegseintritt Frankreichs und Englands gegeben, Nazi-Deutschland hätte gewonnen, und Schwarzer und Co. würden noch heute mit „Sieg Heil“ grüßen müssen. Der Philosoph Jürgen Habermas warnt vor einer „emotionalen“ Reaktion, fordert Ruhe und Augenmaß. Das allerdings ist richtig. Die Gefahr einer Eskalation ist nicht zu leugnen, und die Politik muss sich jeden Schritt gut überlegen. Aber erstens hat es allein Putin in der Hand, ob er Atomwaffen einsetzt, und zweitens stellt sich die Frage, was man für diese Vorsicht alles zu akzeptieren bereit ist. Russische Mordtaten wie in Butscha offenbar bereits jetzt. Aber auch die Auslöschung der gesamten ukrainischen Nation, was erklärtes Kriegsziel Putins ist? Und was macht man dann bei einen Angriff auf Moldau, das Baltikum oder Polen? Wo ist die Grenze der Zurückhaltung, wann beginnt man, die Herausforderung anzunehmen? Rainer Werner Fassbinder hat einen seiner Filme einmal „Angst essen Seele auf“ betitelt. Hier raten bisher achtbare Autoren und Wissenschaftler schon bei der ersten ernsthaften Bedrohung seit Ende des Zweiten Weltkrieges dazu, sich zu verkriechen. Man wird ihre Beiträge nicht mehr unbefangen lesen können, wenn, so der Himmel will, die Ukraine den Krieg gewonnen hat. Und wenn sie verliert, erst

recht nicht.

 



. . . und auf diesen Brief bezieht sich
Herrn Kolhoff
Offener Brief an Kanzler Olaf Scholz

 Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

 

 wir begrüßen, dass Sie bisher so genau die Risiken bedacht hatten: das Risiko der Ausbreitung des Krieges innerhalb der Ukraine; das Risiko einer Ausweitung auf ganz Europa; ja, das Risiko eines 3. Weltkrieges. Wir hoffen darum, dass Sie sich auf Ihre ursprüngliche Position besinnen und nicht, weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen an die Ukraine liefern. Wir bitten Sie im Gegenteil dringlich, alles dazu beizutragen, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen kann; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können.

 

Wir teilen das Urteil über die russische Aggression als Bruch der Grundnorm des Völkerrechts. Wir teilen auch die Überzeugung, dass es eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht gibt, vor aggressiver Gewalt nicht ohne Gegenwehr zurückzuweichen. Doch alles, was sich daraus ableiten lässt, hat Grenzen in anderen Geboten der politischen Ethik.

 

Zwei solche Grenzlinien sind nach unserer Überzeugung jetzt erreicht: Erstens das kategorische Verbot, ein manifestes Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen. Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen allerdings könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen. Und ein russischer Gegenschlag könnte so dann den Beistandsfall nach dem NATO-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen. Die zweite Grenzlinie ist das Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung. Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis.

 

Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum: Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern. Und zum andern, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren „Kosten“ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ausschließlich in die Zuständigkeit ihrer Regierung falle. Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.

 

Die unter Druck stattfindende eskalierende Aufrüstung könnte der Beginn einer weltweiten Rüstungsspirale mit katastrophalen Konsequenzen sein, nicht zuletzt auch für die globale Gesundheit und den Klimawandel. Es gilt, bei allen Unterschieden, einen weltweiten Frieden anzustreben. Der europäische Ansatz der gemeinsamen Vielfalt ist hierfür ein Vorbild.

 

Wir sind, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, überzeugt, dass gerade der Regierungschef von Deutschland entscheidend zu einer Lösung beitragen kann, die auch vor dem Urteil der Geschichte Bestand hat. Nicht nur mit Blick auf unsere heutige (Wirtschafts)Macht, sondern auch in Anbetracht unserer historischen Verantwortung - und in der Hoffnung auf eine gemeinsame friedliche Zukunft.

 

Wir hoffen und zählen auf Sie!
Hochachtungsvoll
 

DIE ERSTUNTERZEICHNERiNNEN

 

Andreas Dresen, Filmemacher
Lars Eidinger, Schauspieler
Dr. Svenja Flaßpöhler, Philosophin
Prof. Dr. Elisa Hoven, Strafrechtlerin
Alexander Kluge, Intellektueller
Heinz Mack, Bildhauer
Gisela Marx, Filmproduzentin
Prof. Dr. Reinhard Merkel, Strafrechtler und Rechtsphilosoph
Prof. Dr. Wolfgang Merkel, Politikwissenschaftler
Reinhard Mey, Musiker
Dieter Nuhr, Kabarettist
Gerhard Polt, Kabarettist
Helke Sander, Filmemacherin
HA Schult, Künstler
Alice Schwarzer, Journalistin
Robert Seethaler, Schriftsteller
Edgar Selge, Schauspieler
Antje Vollmer, Theologin und grüne Politikerin
Franziska Walser, Schauspielerin
Martin Walser, Schriftsteller
Prof. Dr. Peter Weibel, Kunst- und Medientheoretiker
Christoph, Karl und Michael Well, Musiker
Prof. Dr. Harald Welzer, Sozialpsychologe
Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist
Juli Zeh, Schriftstellerin
Prof. Dr. Siegfried Zielinski, Medientheoretiker

 

 

 


 

 

Sie möchten den Brief unterschreiben - hier gehts zum Brief auf  change.org

 

 Stand 17.11.2022   -   470.283  Unterschriften !



Was ich noch zu sagen hätte . . . !